Im Format eines Mercedes EQE schickt der chinesische Hersteller BYD seine Fünfmeter-Limousine Han ab dem vierten Quartal 2022 nach Deutschland. Was kann der 516 PS-Allradler mit seiner außergewöhnlichen Blade-Batterie.
Auch wenn die SUVs auf dem Elektroauto-Markt eine mehr als gewichtige Rolle spielen: Die wirklich großen Reichweiten erhält man mit den klassischen Limousinen, was Tesla mit Model 3 und S, und Mercedes mit EQE und EQS eindrucksvoll beweisen. Mit 521 Kilometern nach WLTP liegt der rund fünf Meter lange BYD Han auf Augenhöhe mit dem ebenfalls allradgetriebenen EQE 500, der je nach Konfiguration zwischen 505 und 596 Kilometer gemäß Norm schafft. Ab dem vierten Quartal soll der Han zusammen mit dem Atto 3 und dem Tang den Marktstart des chinesischen Herstellers auf dem deutschen Markt einläuten. Dabei will BYD auf ein recht traditionelles, händlerbasiertes Vertriebskonzept in Kooperation mit der schwedischen Hedin-Group setzen. Und falls Ihnen BYD erstmal nichts sagt: Erzeugnisse dieses chinesischen Riesenkonzerns mit 290.000 Mitarbeitern haben Sie sicherlich schon mal benutzt. Zum Beispiel in Form von Handy- und Laptopakkus, schließlich wurde “Build your Dreams” 1995 als Batteriezellenhersteller gegründet.
Nun aber zum Han: Die große Limousine wurde unter der Führung von Ex-Alfa-Romeo-Chefdesigner Wolfgang Egger geformt und soll mit einem niedrigen cw-Wert von 0,23 glänzen. Dementsprechend leise gibt sich der Han bei einer ersten, noch sehr kurzen und tempolimitierten Ausfahrt auf einem niederländischen Flugplatz. Darüber hinaus fährt er sich aber eher reserviert denn engagiert. Die Lenkung hat im ersten Moment nicht so richtig Motivation, den schweren Wagen zum Einlenken zu überreden, legt dann aber bei steigendem Lenkwinkel plötzlich eine unerwartete Direktheit an den Tag, die mangels Feedback Eingewöhnung erfordert. Adaptive Dämpfer wurden zusammen mit ZF entwickelt und bieten einen recht manierlichen Fahrkomfort, der sich in der Sporteinstellung zugunsten besserer Abstützung in Kurven auch zurücknehmen lässt. Gut gelingt dem Han die Überblendung von Rekuperation und hydraulischer Bremse im Pedal. Der Druckpunkt ist verbindlich und berechenbar. Die beiden Elektromotoren werfen 680 Newtonmeter und 516 PS auf alle vier Räder. Dementsprechend rasant reißt es den Han auf 100 km/h. BYD gibt 3,9 Sekunden an, die sich bei ersten Beschleunigungsversuchen durchaus glaubhaft anfühlen. Maximal sind 180 km/h möglich.
Nichts für Sitzriesen
85,4 Kilowattstunden fasst die Lithium-Eisenphosphat-Batterie, die mit ihren großen klingenförmigen Zellen (Blade-Batterie) im Fahrzeugboden sitzt. Ebenfalls besonders: Während die meisten anderen Hersteller ihre Zellen und Teile der Elektronik von Zulieferern zukaufen müssen, fertigt BYD fast alle wichtigen Elektronik-Komponenten selbst. Gegenüber den häufiger verwendeten NMC-Zellen (Nickel-Mangan-Cobaltoxid) gelten LFP-Batterien als zyklenfester und sicherer, aber auch als weniger leistungsfähig. Ein Indiz für letzteres ist die mit 120 kW nicht gerade überschäumende Ladepower. Für den Ladehub von 30 auf 80 % gibt BYD 30 Minuten an. Ein Mercedes EQE, ebenfalls mit 400 Volt-System, lädt in dieser Zeit von 10 auf 80 % SOC bei 5 kWh größerem Akku.
BYD
Für eine Limousine zu hohe Sitzposition und zu geringer vertikaler Verstellbereich des Lenkrads.
Weniger zur gelungenen Grundauslegung passt da die eigenartige Sitzposition. Bei niedrigster Sitzeinstellung der an sich sehr bequemen und vielfach verstellbaren Ledersessel streifen die Haare bereits den Dachhimmel – bei 1,87 Meter Körpergröße. Auch das Lenkrad lässt sich nicht weit genug in der Höhe verstellen, sodass man eher auf als im Auto sitzt. Das Cockpit selbst nimmt sich vereinzelte Anleihen von Mercedes – die untere Mittelkonsole zum Beispiel – und kreiert ein auffälliges Hochglanz-Ambiente mit viel gestepptem Leder. Die verwendeten Materialien fühlen sich dabei keinesfalls billig an, nur die Verarbeitung ist in manchen Details wie den Passungen einzelner Panele oder dem Sitz mancher Schalter noch nicht auf Premium-Niveau. Auffälliger als die kleineren Makel im Innenraum sind die üppigen und teils ungleichmäßigen Spaltmaße der Karosserie. Gut dagegen: BYD setzt am Lenkrad noch auf haptische Tasten mit klarer Symbolik. Auch die restliche Bedienung gelingt relativ einfach mit weiteren Tasten rund um den Fahrstufen-Wählhebel und dem sehr scharfen, schnell und flüssig reagierenden Touchscreen. Der erleichtert mit Home-, Zurück und Menütaste die Bedienung deutlich und selbst die in den Screen verlagerte Klimabedienung kann man stets über eine Direktanwahl anpassen.
BYD
Heimeliger Fond mit Kopffreiheit bis etwa 1,90 Meter. Relativ liegende Sitzposition.
Wenig Platz für Gepäck
Der Fond ist betont luxuriös ausgelegt, schließlich lässt man sich in China gerne chauffieren. Die Sitzposition auf den großen Sesseln ist stark geneigt, fast liegend. Das ist auch nötig, denn die Kopffreiheit ist begrenzt, die Kniefreiheit ausreichend. Zwischen den Rücksitzen lässt sich eine Mittelarmlehne ausklappen, die mit einem zusätzlichen integrierten Touchscreen den Fondpassagieren Mitspracherecht bei Musikauswahl, Klimatisierung und weiteren Funktionen lässt. Der Kofferraum ist mit 410 Litern Ladevolumen eher klein. Einen Frunk (vorderen Kofferraum) bietet der Han nicht.
BYD
410 Liter und die kleine Ladeluke sorgen für wenig Praktikabilität.
Preise nennt BYD noch nicht. Auch ein Händlernetz ist noch weit entfernt, schließlich betreibt Hedin laut Website derzeit nur ein einziges Autohaus in Deutschland, das Dodge und Ram verkauft. Angesichts der hohen Preise für Mercedes EQE und EQS, sowie Tesla Model S gäbe es in diesem Segment aber durchaus Potenzial für einen günstigeren Mitbewerber. Denn der Preis wird großen Anteil daran haben, ob sich der Han sich auf dem deutschen Markt bewährt.
Umfrage
Ja, bei den permanenten technischen Fortschritten glaube ich inzwischen daran.
Nein, das halte ich nach wie vor für eine Träumerei.
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Fazit
Der BYD Han bietet viel Luxus und Ausstattung in einer Vollformat-Limousine. Seine wahren Qualitäten bei Fahrdynamik, Komfort und Effizienz muss er noch in einem richtigen Test beweisen, die wuchtige Power gefällt schon jetzt. Einzig die merkwürdige Sitzposition und die vereinzelten Verarbeitungsmängel trüben einen Eindruck, der erst mit einer Preisangabe wirklich vollständig eingeordnet werden kann.