(31.7.2022) In den letzten zehn Jahren musste die deutsche Fliesenindustrie
einen einige Rückschläge verkraften. Nun hat es auch die Fliesenproduktion der
bekannten Marke Villeroy & Boch getroffen. Im Interview erläutert Dieter
Schäfer, Vorstand der Deutsche Steinzeug AG, wie es in seinen Augen um die
Fliese „Made in Germany“ steht. Das Interview führte Gabriele Busse,
Pressesprecherin Deutsche Steinzeug.

Dieter Schäfer, Vorstand Deutsche Steinzeug (Foto © Deutsche Steinzeug / fotobonn) 

Herr Schäfer, ist die Produktion von Fliesen in Deutschland
wirtschaftlich unattraktiv oder warum gibt die Villeroy&Boch Fliesen GmbH
auf?

Dieter Schäfer: „Es ist wirklich schade, dass eine
renommierte Marke wie V&B ihre Fliesen nicht mehr in Deutschland oder in
Frankreich produzieren wird. Sicher, wir haben es als energieintensive
Industrie durch die Ukraine-Krise und die politische Auseinandersetzung mit
Putin gerade nicht leicht. Aber einen Abgesang auf den deutschen
Produktionsstandort der Fliese sehe ich nicht.“

Worin ist aus Ihrer Sicht das Scheitern der V&B Fliese begründet?

Dieter Schäfer: „V&B hat sich als Spezialist für
Geschirr und Sanitär aus meiner Sicht vielleicht einfach nicht auf das
Geschäft mit der Fliese als Halbprodukt verstanden. Für den Endverbraucher
ist Villeroy & Boch eine bekannte Marke. Die Fliese als sogenannten
,Windfall Profit‘ aus dem Unternehmensportfolio Nutzen ziehen zu lassen, war
in meinen Augen einfach zu wenig.“

Wie sieht das bei Ihrer Marke Agrob Buchtal aus?

Dieter Schäfer: „Wir haben viele olympische
Schwimmbecken realisiert, mit Stararchitekten wie Renzo Piano gearbeitet und
die Fliesen für die Kuppel des Sony-Centers am Potsdamer Platz in Berlin
gefertigt. Das niederländische Architekturbüro MVRDV hat in Bordeaux und
Rennes gerade zwei Wohnquartiere mit unseren keramischen Fassadensystemen
fertiggestellt. Wir sind seit Jahrzehnten der Lieferant für hochbelastbare
Supermarktfliesen, und vieles mehr. Suchen Architekten, Planer, Entwickler
irgendwo auf der Welt eine besondere Qualität oder Fliese, rufen sie bei uns
an.“

Ist Klimaschutz ein neues Thema für Sie?

Dieter Schäfer: „Unsere Konzentration auf Klimaschutz
und Nachhaltigkeit ist nicht neu. Die deutschen Werke haben schon
Fluor-Emissionsanlagen gebaut, als dies im übrigen Europa noch überhaupt
keine Diskussion war. Unsere Umweltauflagen in Bezug auf Emissionen werden
konsequent umgesetzt. Die Tatsache, dass wir mit unserer Marke Agrob Buchtal
unsere Produkte für Renovierungen nach ,Green Building‘-Standards einsetzen
durften, ist auch darauf zurückzuführen, dass wir unsere Rohstoffe nicht aus
ganz Europa beschaffen, sondern uns bis zu 90% aus dem heimischen Markt
bedienen.“

Die Fliese ist also ein zukunftsfähiges Produkt, sagen Sie?

Dieter Schäfer: „Aufgrund der natürlichen Rohstoffe und
der extremen Langlebigkeit ist die keramische Fliese meiner Meinung nach ein
ideales zukunftsfähiges Produkt. Es ist uns aber in der Tat noch nicht
gelungen, dies in das Bewusstsein des Endverbrauchers zu übertragen. Der
Verbraucher entscheidet sich für Vinyl und freut sich, dass er damit ein
Produkt mit der ,Blaue Engel‘-Zertifizierung einkauft. Wer weiß denn schon,
dass die keramische Fliese gar keine Chance hat einen ,Blauen Engel‘ zu
bekommen, weil sie überhaupt keine Schadstoffe enthält. Das ist schon ein
wenig absurd, oder nicht?“

Wofür steht die Fliese „Made in Germany“ außerdem?

Dieter Schäfer: „Die Fliese ,Made in Germany‘ zeichnet
sich aus durch Qualität, faire – mit Gewerkschaften verhandelte – Löhne,
transparente Preise und, ganz wichtig: durch regionale Rohstoffe. Auf uns
können sich der Handel und Baustellen weltweit verlassen – auch in Zeiten,
in denen die Lieferketten in Süd- und Osteuropa zusammenbrechen, wie sich
gezeigt hat.“

Was ist dagegen das Erfolgsgeheimnis der Südeuropäer?

Dieter Schäfer: „Die deutsche Industrie widmet sich
bereits seit mehr als 100 Jahren der Fliesenproduktion und konnte die
europäische Wiederaufbauphase Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts
aktiv unterstützen. Dadurch haben wir natürlich eine andere
Fertigungsstruktur. Außerdem wurden die Werke damals dort errichtet, wo
Rohstoffe und Mitarbeiter zur Verfügung standen. Dagegen der Aufbau der
Italiener in den 60er Jahren, mit großzügig strukturierten Werken auf freien
Flächen, hat natürlich eine effizientere Werkstruktur ermöglicht. Hinzu
kommt, dass sie sich mit dem heute fast vollständig in Italien vereinten
keramischen Maschinenbau exzellent entwickeln konnten.“

Können deutsche Werke trotzdem konkurrenzfähig produzieren?

Dieter Schäfer: „Es muss kein Werk in Deutschland
schließen, weil das Lohnniveau bzw. die Kosten für Energie, Transport oder
Rohstoffe zu hoch sind. Die italienische Fliesenindustrie zahlt Löhne, höher
als in der Automobilindustrie (z.B. Ferrari / Fiat) – und damit auch
deutlich höher als in Deutschland. Ein Großteil der Rohstoffe wird in
Südeuropa eingekauft und müsste teurer sein, da weitere Transportwege zu
kalkulieren sind. Einen direkten Kostenvorteil gibt es insoweit bei den
variablen Kosten inklusive Lohn- und Gehalt also nicht. Die extreme
Arbeitsteiligkeit und die regionale Konzentration ist sicherlich ein
Pluspunkt.“

Was ist Ihr Rat an die deutschen Fliesenhersteller?

Dieter Schäfer: „Wir müssen endlich lernen, gegen den
starken Wettbewerb aus Süd- und Osteuropa zusammenzuhalten. Wir sollten
souverän zu unseren Stärken stehen, aber auch deutlich machen, was
wirtschaftlich nicht verantwortbar ist.“

Haben Sie einen Wunsch?

Dieter Schäfer: „Einen fairen Umgang und das Verständnis
unserer Partner im Markt für die aktuelle Kostenentwicklung und
Preisakzeptanz. Dann können unsere Kunden auch in den nächsten Jahrzehnten
weiterhin mit uns rechnen und die Qualität unserer Produkte und unserer
Services wertschätzen.“

Zur Erinnerung: Dieter Schäfer ist nicht nur Vorstand der Deutsche
Steinzeug AG sondern auch Fachbeiratsvorsitzender der
BAU.