Wer seine Wohnung oder den Betrieb mit Gas heizt, muss sich zum Jahreswechsel auf massive Preiserhöhungen einstellen. Die Gasag, die als ehemalige Monopolistin bis heute die überwiegende Mehrheit der privaten und gewerblichen Gaskunden in Berlin beliefert, will dieser Tage Kunden über die konkrete Preiserhöhung in ihrem jeweiligen Tarif informieren.
Das kündigte der Vorstandsvorsitzende Georg Friedrichs in einem Gespräch mit Journalisten an. Er äußerte die Erwartung, dass auch aufgrund der „so noch nie dagewesenen Marktentwicklung“ fast alle Konkurrenten Preisschritte in ähnlichem Umfang planen würden.
Ab Januar müssen Gasag-Kunden im Grundversorgungstarif bei einem Verbrauch von 12.000 Kilowattstunden für eine durchschnittliche Berliner Wohnungsgröße insgesamt rund 13 Euro mehr pro Monat zahlen, das wären 156 Euro im Gesamtjahr. Dieses entspricht einer Steigerung von rund 16 Prozent. Für ein Einfamilienhaus mit einem durchschnittlichen Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden ergibt sich ein monatlicher Mehrpreis von rund 22 Euro (264 Euro im Gesamtjahr). Der Arbeitspreis für Erdgas steigt um 1,31 Cent pro Kilowattstunde. Der Grundpreis bleibt stabil.
Der Gasag-Chef verwies auf extrem stark gestiegene Preise im Großhandel, bedingt durch eine steigende Nachfrage in Asien und reduzierte Liefermengen aus dem für Deutschland wichtigsten Lieferland Russland. Man gebe die Preise „nur teilweise“ an die Kunden weiter, um die Preiserhöhung „moderat und möglichst sozialverträglich zu gestalten“, behauptete er.
Friedrichs sprach sich gegen politische Überlegungen aus, Energieversorgen pauschal zu verbieten, Familien mit Kindern im Winter den Gasanschluss zu sperren, sollten diese ihre Rechnungen über mehrere Monate nicht bezahlt haben. „Ich bin für den Schutz von Kindern, auch wenn es um warme Wohnungen geht – aber eine solche Regelung funktioniert nicht ohne Ausgleich durch die Politik“. Man könne soziale Aufgaben nicht dauerhaft auf Unternehmen übertragen.
Bisher waren die Energiepreise für Endkunden nur moderat gestiegen
Bisher dürften die wenigsten Haushalte in Berlin und Brandenburg gemerkt haben, dass die Preise für Energie stetig steigen. Zum einen kommt die Abrechnung der Versorger erst mit Monaten Verzögerung, zum anderen war die Teuerungsrate für Wohnung, Wasser, Strom, Gas und andere Brennstoffe bisher noch relativ moderat: 2,2 Prozent mehr als im Vorjahr mussten Berliner für Wohnen und Energie im Oktober zahlen, Brandenburger immerhin 4,4 Prozent mehr. Das hat das Statistische Landesamt errechnet.
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Mit der Gasag hat nun der erste große Energieversorger der Region eine beispiellose Preiserhöhung angekündigt: Die 16 Prozent bewegen sich im Branchendurchschnitt, sei aber für viele hart, „und dessen sind wir uns auch bewusst“, sagte Gasag-Chef Friedrichs. Auch die übliche Preisstabilitätsgarantie für das kommende Jahr gab er nicht ab. Tarife mit Preisgarantie für ein volles Kalenderjahr würden wieder ab November angeboten, teilte das Unternehmen auf Nachfrage mit. Diese dürften aber teurer sein als andere Tarife, vermuten Marktbeobachter.
Deutschlands Abhängigkeit von drei Lieferländern
Deutschland bezieht aktuell rund 55 Prozent seiner Gasmengen ausschließlich über Rohrnetze (Pipelines) aus Russland, zweitgrößtes Lieferland ist mit gut 30 Prozent Norwegen vor den Niederlanden mit knapp 13 Prozent. Heimische Erdgasförderung oder Importe von Flüssiggas (LNG), mit denen andere Länder handeln, spielen für den heimischen Markt keine Rolle.
Auch die USA, die wegen ihrer verbreiteten Nutzung der ökologisch umstrittenen Fracking-Technologie zum weltgrößten Erdgasförderland aufgestiegen sind, können Deutschland nicht direkt beliefern. Denn in deutschen Häfen gibt es – anders als von früheren Bundesregierungen angestrebt – bisher kein Flüssiggasterminal. Planungen für den Standort Brunsbüttel an der Elbmündung wurden bisher nicht realisiert.
Georg Friedrichs ist seit April 2021 Vorstandschef des Berliner Energieversorgers Gasag.Foto: Doris Spiekermann-Klaas TSP
Dies ist auch der Hintergrund für die seit Jahren anhaltende Kritik aus der US-Politik an der deutschen Kooperation mit Russland zum Bau des zweiten Stranges der Ostseepipieline Nord Stream 2. Der Vorwurf der Amerikaner: Deutschland begibt sich ohne Not in noch größere Abhängigkeit von Russland, anstatt den Kreis seiner Lieferländer durch den Bau eines Flüssiggashafens zu erhöhen. Zudem entziehe Deutschland durch die Verdopplung der Ostseepipeline mehreren osteuropäischen Ländern wichtige Einnahmen aus Transitgebühren, die Russland für die Nutzung bestehender Pipelines an Land zahlen muss. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) treibt das Nord-Stream-Projekt seit Jahren als Lobbyist voran.
Die finale Betriebsgenehmigung zum Betrieb von Nord Stream 2 steht indes noch aus. Bei der EU in Brüssel formiert sich immer größerer Widerstand. Beobachter des Erdgasmarktes werfen dem russischen Erdgasexportmonopolisten Gazprom vor, den jüngste Preisanstieg in Europa durch systematisch niedrige Liefermengen mitverursacht zu haben. Staatspräsident Wladimir Putin wolle so Druck auf die EU Länder ausüben, um die Pipeline, die Russland über Jahrzehnte stabile Einnahmen bescheren soll, endlich füllen zu können.
Gasspeicher sind aktuell nur zu 71 Prozent gefüllt
Ein Indikator für zu geringe Lieferungen ist der aktuelle Stand in den Speichern der großen Gasversorger hierzulande. Sie waren laut dem Branchenverband GIE am vergangenen Wochenende zu 71 Prozent gefüllt. Vor einem Jahr habe die Quote bei 94 Prozent gelegen. Als Russlands Präsident Putin den Staatskonzern Gazprom vergangene Woche öffentlich angewiesen hatte, insbesondere die Gasspeicher in Deutschland und Österreich zu füllen, sank der Preis kurzfristig um rund ein Fünftel auf unter 70 Euro pro Megawattstunde – und deutlich unter sein Rekordhoch von Anfang Oktober. Am Wochenende aber kam zeitweilig gar kein Gas mehr über Polen und Tschechien an, der Preis stieg diesen Montag wieder um 15 Prozent.
Ab Januar zahlen also auch Verbraucher in der Hauptstadtregion den Preis für diese Launen Putins, der das russische Erdgas mittlerweile direkt als Druckmittel einsetzt. Hinzu kommen die steigende Nachfrage in Asien sowie neuerdings Spannungen zwischen Algerien und Marokko. Seit Mai hat sich der Gaspreis etwa verfünffacht.
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„Dieses Geld steckt sich niemand in Deutschland in die Tasche“, sagte Gasag-Chef Friedrichs in einer Journalistenrunde. Die Mehrkosten stellten allein die Lieferländer in Rechnung. Die Mehrkosten könnten sich – je nach Verlauf der Saison – für ganz Deutschland auf 20 bis 50 Milliarden Euro summieren. „Geld, dass unserer Volkswirtschaft entzogen wird“. Kunden bezahlten die Summe teils über ihren lokalen Gasversorger, teils auch über die Preissteigerung für alle denkbaren Produkte, da Hersteller und Händler die gestiegenen Heizkosten auf ihre Waren umlegen müssten.
Wie umgehen mit Familien, die nicht zahlen können?
Friedrichs äußerte die Erwartung, dass die Preise wieder auf 30 bis 40 Euro fallen werden, das bleibe aber schwer abschätzbar. Das niedrige Niveau der vergangenen Jahre werde man wohl bis auf weiteres nicht wieder erleben. Das in Schiffen transportierte Flüssiggas gehe derzeit ausschließlich nach Asien, wo sich die Wirtschaft schneller von Corona erholt habe. Sein Unternehmen könne auch nicht kurzfristig Abhilfe schaffen, in dem es seinen großen Erdgasspeicher unterm Grunewald reaktiviert. Den habe man stillgelegt, da er nicht wirtschaftlich zu betreiben gewesen sei.
Die seit April bezogene Zentrale der Gasag auf dem Euref-Campus in Berlin-Schöneberg.Foto: Kitty Kleist-Heinrich
Politisch heikel ist für die Gasag der Umgang mit der Preiserhöhung vor allem mit Blick auf die sozial schwächsten Privathaushalte. In vergangenen Jahren war der Anteil der Kunden, die ihre Rechnung nicht zahlen konnten und denen die Gasag daher buchstäblich den Hahn abdrehte, sehr gering. Das dürfte sich ändern nach der nun historisch großen Preiserhöhung. „Wir drehen niemandem zum Fest den Hahn zu“, versprach der Gasag-Chef. Da gilt die Erhöhung ja auch noch nicht. Aber was ist im neuen Jahr? „Wir sind in der Vergangenheit verantwortlich damit umgegangen und werden es auch in Zukunft tun“, kündigte er an.
Friedrichs verwies auch auf die Mitarbeit der Gasag im „Fachforum Energiearmut“, wo man gemeinsam mit Jobcentern, Bezirksämtern, der Verbraucherzentrale Berlin, Senatsverwaltung für Verbraucherschutz und Vattenfall regelmäßig berät, wie man Abschaltungen von Anschlüssen vermeiden kann. Es sei sicher ungewöhnlich für den Vorstand eines Energieunternehmens, aber: „Ich hoffe, dass der kommende Winter nicht zu kalt wird“, sagte Friedrichs.
„Vor einer Energiesperre müssen alle Möglichkeiten zur Abwendung ausgeschöpft sein“, forderte Elisabeth Grauel, Projektleiterin Energieschuldenberatung bei der Verbraucherzentrale. „Verbraucher:innen müssen auf die Beratungs- und Hilfsangebote hingewiesen werden. „Zur Klärung der Forderungen und Abwendung der Energiesperre muss der Verbraucher eine angemessene zeitliche Frist erhalten.“