Würth: Elektroteile vom Schraubenkönig – Vorstoß in neue Geschäftsfelder

Angestellte im Labor von Würth Elektronik

Die Würth Elektronik-Gruppe erwirtschaftet inzwischen mehr als 4,5 Milliarden Euro im Jahr – ein Viertel des Konzernumsatzes.

(Foto: Würth Elektronik eiSos GmbH & Co. KG)

Stuttgart Reinhold Würth denkt für sein Unternehmen schon immer über das Kerngeschäft hinaus. Als der „Schraubenkönig“ genannte Werkzeugspezialist vor Jahrzehnten angefangen hat, Leiterplatten zu bauen, wagte er eine Prognose: Die Elektroniksparte würde eines Tages so groß sein wie das konventionelle Geschäft mit Schrauben und Montagematerial.

Ganz so weit ist es noch nicht, aber die Weitsicht des 87-jährigen Familienunternehmers zahlt sich aus. Die Würth-Elektronik-Gruppe besteht heute aus drei Einheiten: CBT produziert Leiterplatten, ICS stellt Power- und Steuerungssysteme her, und die eiSos ist Hersteller für elektronische & elektromechanische Bauelemente.

Die im Vergleich zur Montage- und Befestigungsparte öffentlich wenig beachteten Bereiche Elektronik und Elektrogroßhandel setzen inzwischen mehr als 4,5 Milliarden Euro um – fast ein Viertel des Konzernumsatzes. Damit sind sie die mit Abstand am stärksten wachsenden Bereiche der Würth-Gruppe.

Allein bei den eiSos-Bauelementen wird dieses Jahr ein Außenumsatz (Verkaufserlös) in Höhe von einer Milliarde Euro erreicht. 600 Millionen Euro davon stammen von eigengefertigten Produkten aus weltweit 14 Werken. Würth zählt sich zu den führenden Herstellern für passive Bauelemente. „Wir werden im nächsten Jahr wieder zweistellig wachsen“, sagt der Chef der Würth Elektronik, Thomas Schrott, dem Handelsblatt. Der Markt hingegen wächst aktuell nur um acht Prozent.

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Innerhalb von zwei Jahren ist Würth Elektronik rein organisch um 65 Prozent gewachsen. Mittelfristiges Umsatzziel sind zwei Milliarden Euro im Jahr 2030. „Kleinvieh macht auch Mist“ steht in der aktuellen Firmenbroschüre in Anspielung auf die zum Teil winzigen Elektronik-Bauteile.

200 Millionen Euro für die Lieferfähigkeit

Ein Erfolgsgeheimnis ist kluge Vorratshaltung: „Wir haben bewusst einen Lagerbestand im Wert von 200 Millionen Euro aufgebaut,“ erläutert Schrott. „Unsere Teile, beispielsweise zur Entstörung von Kleinstmotoren und Steuerungen, sind für die Industrie und den Automobilbau systemrelevant.“

180 besondere Patente sichern das Geschäft. Und inzwischen wagt sich Würth auch an Kooperationen mit Chipherstellern für sogenannte Schaltreglermodule heran, bei denen die passiven Bauelemente von Würth gemeinsam mit den Chips der Partner verbaut werden.

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Leiterplatten baut Würth seit 1976, 1984 kamen Befestigungen hinzu. In den 1990er-Jahren erfolgte die Erweiterung um Produkte für die elektromagnetische Verträglichkeit, die Störungen entgegenwirken. Die Bauteile werden im Direktvertrieb nach dem Vorbild des Würth-Stammhauses verkauft.

Beim Projektgeschäft geht es darum, Entwickler zu gewinnen, die dann die eiSos-Bauteile auf die Stückliste setzen. Schwerpunkt sind Industrieelektronik und Automobilanwendungen für autonomes Fahren. Inzwischen hat Würth nach eigenen Angaben 100.000 Kunden. Aber das ist in einem gigantischen Markt nur ein Anteil von einem Prozent.

Elektrogroßhandel profitiert vom Trend zu erneuerbaren Energien, Ladesäulen, Energiespeichern, Wärmepumpen

Die passiven Bauelemente sind aber nur ein Teil der Transformation Würths in eine elektronische Zukunft. Eine ähnlich dynamische Entwicklung legt der Elektrogroßhandel hin. „Der Umsatz wird in diesem Jahr knapp 24 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro steigen“, sagt der für das Deutschlandgeschäft zuständige Geschäftsbereichsleiter Uwe Schaffitzel.

Würth profitiert vom starken Trend zu erneuerbaren Energien, Ladesäulen, Energiespeicher, Wärmepumpen. Energie lässt sich vor allem mit moderner Technologie sparen – die ist mit Elektroinstallationen verbunden. „Wir werden auch 2023 zweistellig wachsen“, sagt Schaffitzel. Auch im nächsten Jahr erwartet er trotz der Probleme der Bauwirtschaft keine wirkliche Krise in der Elektrobranche. In Deutschland ist Würth inzwischen Nummer zwei hinter der französischen Sonepar. Europaweit performt auch das Unternehmen Rexel noch besser.
Das Geschäft mit dem Elektrogroßhandel ist untypisch: Es werden keine Würth-Produkte verkauft. Vertrieben werden Produkte von Markenherstellern unter deren Label. Komponenten für Verteilerschränke wie Kabel, Kleinteile und Schalter stehen im Fokus. Denn: Bei Elektrik vertrauen die Menschen lieber auf Fachleute, als selbst zu werkeln – und die Teile selbst einzukaufen und anzuschließen. Deshalb ist das Elektrohandwerk für Würth eine sehr attraktive Kundschaft.
Das dynamische Wachstum war ebenfalls durch voll gefüllte Lager in den Corona-Jahren möglich. Das hat aber hohe Kosten verursacht. Der finanzielle Rückhalt durch die Würth-Gruppe habe sehr geholfen, erklärt Schaffitzel. Und: „Der Nachschub rollt. Bis Jahresende werden noch 65 Lkw mit bestellten und damit bereits verkauften Photovoltaik-Modulen und Wechselrichtern geliefert, auf die die Elektrohandwerker dringend warten.“

Die Hälfte der Kunden bestellt online

Der Elektrogroßhandel ist innerhalb der Würth-Gruppe indes auch Vorreiter beim Onlineverkauf. Die Hälfte des Umsatzes wird im digitalen Shop gemacht, konzernweit liegt der Anteil nur bei einem Fünftel. Das internationale Geschäft ist in den vergangenen sieben Jahren auch durch Zukäufe im Volumen von insgesamt mehreren Hundert Millionen Euro stark gewachsen. Das Geschäft ist allerdings beinhart, erklärt Ulrich Liedtke, der den Bereich verantwortet: „Mit den Produkten kann man sich in dem Geschäft nicht differenzieren, dafür mit der Leistungskraft.“

Wer bis 19.30 Uhr bestellt, hat am nächsten Tag seine Ware. Das schaffe das Unternehmen bei 45.000 Artikeln in 98 Prozent der Fälle. Durch die generellen Lieferprobleme in der Industrie sei die Quote auf 94 Prozent etwas abgerutscht.

Konkurrenz ist auch der Direktvertrieb der Hersteller. Der Weltmarkt hat einen Wert von 200 Milliarden Euro. „In die Märkte USA und China ist es für uns zu schwer reinzukommen. Aber wir haben noch viele Wachstumschancen in Europa“, betont Liedtke. Der Würth-Trick bestehe darin, übernommenen Firmen ihren Namen und ihre Identität zu belassen: „Wir kommen ohne Blaupause. Das hilft uns bei Übernahmen.“ Die direkten Konkurrenten im Markt regeln das anders.

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Erstpublikation: 27.11.2022, 10:47 Uhr